Eine neue Landwirtschaft baut auf alte Gewissheiten und eröffnet trotzdem neue Horizonte für eine globalisierte Welt

 

 

Ein deutscher Landwirt hat ein alternatives Landwirtschaftsmodell etabliert, wo sich wirtschaftliche Ertragserwartungen und kompromisslose Qualität der Produkte für die Lebensmittelherstellung zu einem erfolgreichen und nachhaltigen Zukunfts-Modell vereinen.

Es gab einmal ein großes Reich, wo alles in bester Manier und von zentraler Stelle aus organisiert war; bis auf ein kleines Dorf, das sich dieser herrschenden Macht erfolgreich widersetzte. Die Gallier in diesem Dorf galten als Spinner, die jedoch über geniale Kenntnisse der Natur verfügten und sich so gegen die Übermacht wehrhaft halten konnten, dank Beobachtungsgabe und Zugang zu altem Wissen, aus dem sie den berühmten Zaubertrank mischen konnten, der übermenschliche Kräfte verlieh. Diese Geschichte ist allgemein bekannt und erfolgreich: Was die Figuren Asterix und Obelix für die Römer waren, könnte der Landwirt Uwe Wüst mit seiner Familie und seinem Forschungspartner Dirk Appel für die landes- und zeitübliche Landwirtschaft sein: Die Verkörperung eines alternativen, zukunftsweisenden und erfolgreich umgesetzten Lebens- und Arbeitsmodells jenseits gängiger Standards.

Der rund 150 Hektar Land umfassende Familienbetrieb liegt im nordöstlichen Baden-Württemberg, nahe Tauberbischofsheim auf etwa 320 Meter ü. M. und hat seit 2003 die Demeter-Anerkennung für biologisch-dynamische Landwirtschaft. Die weit über die Bio- und Demeter-Standards hinausgehenden Besonderheiten des Hofes sind die pfluglose Bodenbearbeitung, die flexible Misch-Fruchtfolge, der komplette Verzicht auf Düngemittel – auch auf biologische wie konzentrierter Mist und Gülle – sowie die Mutterkuh- und Schweinehaltung als ganzjährige Freilandhaltung ohne jegliche Stallung.

Uwe Wüst befindet sich zumindest teilweise in einer vergleichbaren Situation wie die Gallier in den Asterix und Obelix-Geschichten. Mit seiner speziellen Art von Landwirtschaft, die hier in groben Zügen erläutert werden soll, gilt er in seiner Gegend als „Spinner“, mindestens solange, bis er 2006 den hochdotierten deutschen Förderpreis Naturschutzhöfe gewinnt.

„Die Leistung ist das, was der Boden bringt.“

Wenn der Querdenker Wüst in seiner Landwirtschaft Schwerpunkte setzt, dann kommt in der Reihenfolge zuerst der Boden, dann der Boden und an dritter Stelle – wen wundert’s – der Boden. Dies ist natürlich erklärungsbedürftig, weil einerseits in jeder Art von Landwirtschaft der Boden eine zentrale Rolle spielt. Hier jedoch wird dem Boden eine Pflege zugestanden, die einem Menschen zustehen würde.

Der Landwirt spricht über seinen Boden wie über ein Familienmitglied, das mal erkranken kann, sich erkältet, einen Husten hat, Fieber und so weiter. In diesen Fällen wird der Boden sorgsam gepflegt oder auch in Ruhe gelassen; was er gerade braucht. Niemals jedoch werden chemische oder synthetische Mittel eingesetzt, sondern alles passiert aus dem Boden selbst heraus. Der Boden, so Uwe Wüst, hat alles in sich und bringt die unmöglichsten Leistungen, wenn man ihm vertraut und ihm seinen Platz oder seine Ruhe lässt, wenn er dies gerade braucht. Dann bringt er später wieder seine volle Leistung, wenn er gesund ist.

Der kulturell genutzte Boden wird im Betrieb des Bodenkünstlers Wüst weder gepflügt noch gedüngt, ausnahmslos. Der Verzicht auf das Pflügen hat auch Auswirkungen auf die CO2-Bilanz des Hofes. Immer mehr richtet sich in diesem Diskurs um die Treibhausgase das Augenmerk auch auf die Landwirtschaft. Die „Umweltexperten“ Appel und Wüst erklären, dass etwa die Ausstöße von Vieh im Vergleich zu den durch das Pflügen erzeugten Gasen im Sinne des Wortes ein kleiner Furz sind. Die schädlichen Mengen an Gasen entstehen primär dadurch, dass die Pflanzen durch den Pflug entwurzelt werden und in der Folge absterben und verwesen und genau dieser Verwesungsprozess produziert nicht nur Unmengen an klimaschädlichen Gasen, sondern ist auch noch komplett unnötig, um den Boden zu einer soliden und nachhaltigen Leistung zu bringen.

Ein zentrales Augenmerk richten die baden-württembergischen Landwirtschafts-Forscher auf den Humushaushalt ihres Landes. Der Wald als Wildnis spielt eine zentrale Rolle sowohl im Humus-Diskurs als überhaupt im weltweiten Humus-Haushalt. Der Wald ist im Prinzip der einzige ernstzunehmende Humusproduzent und nimmt in dieser Funktion die Stelle eines Paradieses ein. Jegliche Landwirtschaft ist prinzipiell Humus vernichtend, wobei es natürlich enorme Unterschiede gibt, was Anbaumethoden anbelangt. Die 6 Hektaren Waldfläche auf Uwes Land entsprechen etwa vier Prozent seines gesamten Kulturlandes. Humus ist für die Menschheit, erklärt Uwe Wüst, mindestens so prominent wichtig wie Öl oder Wasser. Er denkt, dass dieser Rohstoff sehr bald eine zentrale Rolle spielen wird, wenn es darum geht, das Überleben des Menschen auf dem Planet Erde langfristig sicherzustellen. Er leistet auf jeden Fall schon jetzt einen Beitrag zum sinnvollen Umgang mit der Ressource Humus auf seinem Land, indem er beispielsweise ein Stück wilden Wald stehen lässt und auf das Pflügen verzichtet.

Entlang den Feldwegen wachsen überall und in ansehnlich breiten Streifen „Ackerunkräuter“. Es sieht romantisch aus oder wild, ungewohnt auf jeden Fall für ein „modern“ geschultes Auge. Diese Wegränder sind jedoch bewusst und gezielt angebaut, es handelt sich letztlich um minutiös registrierte und komponierte Mischungen aus eigener Sammlung oder Züchtung. Wo immer diese neugierigen und unternehmenslustigen Landwirte eine spezielle Pflanze entdecken, nehmen sie Samen mit. Dann wird im Hausgarten gesät und geschaut, was passiert. Wenn sich die Pflanze gut entwickelt und in die Gegend passt, dann wird sie weiter vermehrt und findet ihren Platz in diesem einmaligen Beikraut-Universum, das eine fantastische Artenvielfalt widerspiegelt. Es war nicht zuletzt ausschlaggebend für den Naturschutzpreis, dass Biologen auf dem Hof von Uwe Wüst Pflanzen gefunden haben, die als ausgestorben gelten.

Die sogenannten Ackerunkräuter stehen jedoch nicht nur am Feldrand, sondern auch mitten im Feld. Andere Bauern zeigen Uwe „den Vogel“, wenn sie das sehen – und kriegen „Hühnerhaut“, denn hier schleicht sich der Feind ein. Uwe Wüst jedoch will diese Pflanzen bewusst in seiner Feldkomposition haben, denn sie haben alle ihre spezifische Funktion in seinem „natürlich orchestrierten“ Universum. Die Distel beispielsweise zieht sehr prominent die Bienen ins Feld. Diese sind ein zentraler Faktor bei der Bestäubung und leisten einen wesentlichen Anteil im gesamten Ablauf eines ertragreichen Pflanzenzyklus.

Es werden im Hausgarten der Familie Wüst neben Gemüse und Früchten für den Eigengebrauch nicht nur Kräuter und Unkräuter gezüchtet, sondern auch alte und wiedergefundene Getreidesorten vermehrt. So gelangten unter anderem Erbe-Weizen, Emmer, Einkorn, Schwarzer Hafer, Imperialgerste, Braunhirse in den Ertragsanbau. Auch der Leindotter gehört hier erwähnt; früher als Stützfrucht z.B. in der Leinsaat oder in Linsen bekannt und als Industrieöl genutzt, verkam er zum Unkraut. Heute wird die ölhaltige Nutzpflanze langsam wiederentdeckt, aus der ein delikates Speiseöl gewonnen werden kann. Dies wussten übrigens schon die Kelten, welche das Leindotteröl zu Speisezwecken nutzten, lange bevor das Oliven- oder Sonneblumenöl landauf und landab die Rezepte und Küchen eroberte.

Mischkultur und Anbau auf Hügeln als Erfolgsfaktoren

Neben der Mischkultur ist der Anbau auf „Hügeln“ eine weitere Spezialität des Hofes. Der Hügelbau ist eine uralte landwirtschaftliche Methode, wobei etwa 20 Zentimeter hohe Hügel über die ganze Anbaufläche gezogen werden. Hierzu braucht es spezielle Maschinen, die der Allrounder Wüst in seiner innovationsträchtigen Hofwerkstatt selber baut und entwickelt. Die Mischkultur wird nun so angelegt, dass sich in den einzelnen Aussaatlinien im „Tal“ und auf dem „Berg“ die Früchte sinnvoll abwechseln. Durch die Mischung innerhalb der Saatlinien wird das Klima des Pflanzenwachstums noch einmal optimiert.

Im Vergleich zu konventionellen Ertragserwartungen ergibt sich aus dieser Anbaumethode ein interessanter Aspekt. Die Mischkultur an sich vermindert logischerweise die Ertragsmengen pro angebaute Pflanze. Uwe Wüst, der im Durchschnitt 3 Pflanzen in die Mischung gibt, erntet von jeder rund 50 Prozent, was man von der Fläche in konventionellem Mono-Anbau erwarten könnte. Wer rechnet, wird erstaunt sein, denn der ökonomisch denkende Landwirt erntet pro Frucht auf der Fläche jeweils 50 Prozent und erreicht so bei drei Früchten oder Getreidesorten seit Jahren nachweisbar höhere Ertragsmengen pro Fläche; und das bei Boden schonendem Anbau. Diese brisante Tatsache verdient es, einer breiten Öffentlichkeit bekannt zu werden. Nicht zuletzt im Hinblick auf Diskurse um die Welternährungssituation.

Es gibt im Bereich der Züchtung alter Getreidesorten entstehen Probleme mit der Zertifizierung von Saatgut. Das „Z“ für zertifiziertes Saatgut wird von vielen Händlern auch im Bio-Bereich als Standard verlangt. Zertifiziertes Saatgut ist im Gegensatz zu den alten Sorten meist „stickstoff-süchtig“ und gedeiht besser unter Zugabe dieses Dünge- und Hilfsmittels. Ältere Sorten sind jedoch oft „stickstoff-allergisch“ und fallen in den Stickstofftests teilweise sogar um, weil sie diese Gabe weder gewohnt sind noch in irgendeiner Weise für ihr Wachstum brauchen. Eine Zertifizierung für ein bestimmtes Saatgut kommt jedoch nur zustande, wenn ein Getreide den Stickstofftest übersteht. Das „Z“ braucht man dann wiederum für den Verkauf und die Vermarktung des Getreides auch im Bio-Bereich. Nicht zertifiziertes Gut braucht unkonventionelle Verarbeiter und Käufer, die sich auf ein Experiment einlassen und den Handel letztlich nicht auf ein Label stützen, sondern auf persönlichen Kontakt und auf direktes Vertrauen zum Landwirt und seinem Vermarkter.

An diesem Punkt setzt der Gedanke eines Netzwerkes ein, das vorläufig noch im Abseits gängiger Normen auf höchste Qualität setzt und bereit ist, neue Wege einzuschlagen. Uwe Wüst verkauft seine Produkte nur an Personen, die er selber kennt und denen er vertrauen kann, dass diese aus seinen Erzeugnissen wiederum etwas „Gutes“ machen. In der Zwischenzeit hat sich ein gutes Verhältnis zum Schweizer Produzenten NaturKraftWerke® ergeben. Antonius Conte, der Gründer und Geschäftsführer dieser Schweizer Firma, presst beispielsweise aus dem Leindotter ein bio-dynamisches Gourmet-Öl und vermahlt die außergewöhnlich nährstoffreiche Braunhirse mit einer Spezialmühle zu einem beliebten Pulver.

Uwe Wüst fährt auf einem finnischen Mähdrescher über seine Felder davon. Die Maschine ist das leichteste erhältliche Modell. In den Pneus hat er minimalen Reifendruck, um den Boden durch die Fahrten möglichst wenig zu verdichten. Es sieht aus, als würde er mit platten Reifen fahren und als wäre hier tatsächlich ein Spinner am Werk. Aber wir wissen nun zum Glück, dass es eher ein gallischer Dorfbewohner ist, der noch weiß, wie man einen guten Zaubertrank zubereitet. Bleibt zu hoffen, dass diese Geschichte sich ähnlich gut verbreitet wie jene vom unbesiegbaren gallischen Dorf.
Text: Christoph Meier, NaturKraftWerke®
©Copyright NaturKraftWerke®, Antonius Conte & Partner