Wald- und Forstwirtschaft
1. Prolog
Im heutigen Verhältnis des „zivilisierten» Menschen zur Natur ist der Verlust, ganzheitlich zu denken und zu handeln, zu einem echten Problem geworden. In der Urproduktion äußert sich dies beispielsweise in der Zersplitterung in Wald- und Forstwirtschaft, Landwirtschaft, Obst- und Gartenbau, Jagdwesen und neuerdings Naturschutz. Diese Branchen haben heute kaum etwas miteinander zu tun; und dies zieht sich bis in die jeweiligen Wissenschaften hinein: Die einzelnen Branchen verstehen sich eher als Gegner, die ohne wirkliche Rücksicht auf Belange der anderen ihre Interessen durchzusetzen suchen, anstatt zu erkennen, dass alle im gleichen Boot sitzen und Mängel im einen Bereich unmittelbaren Schaden im anderen bewirken. Das ist den einzelnen Akteuren zunächst nicht zum Vorwurf zu machen, da hier z.B. historische Entwicklungen zum Ausdruck kommen, wie auch eben die fachspezifische Zersplitterung in die jeweils leitenden Wissenschaften und deren Ausbildungspläne. In der Folge ist eine Zusammenführung zu ganzheitlichen Handlungskonzepten nicht einfach, aber – wie wir glauben – auch nicht unmöglich! Schwierigkeiten bestehen auch darin, dass die zersplitterten Branchen juristische Probleme (Zuständigkeiten) mit sich führen. Dem ist mit einfühlsamer und umsichtiger Vorgehensweise zu begegnen.
Insbesondere kleinstrukturierte Betriebe mit Waldflächen bieten hier besondere Gestaltungsmöglichkeiten, sofern Landwirte sensibilisiert sind bzw. werden. Die Erfahrung zeigt, dass sich bei erfolgreichem Handeln Gestaltungsräume entwickeln können. Gerade in der derzeitigen Wandlungsphase, die hinsichtlich Ressourcenverbrauch, Klimawandel usw. langsam auch den letzten Betonköpfen zeigt, dass nicht so weitergewirtschaftet werden kann wie bisher, sollte die biologisch-dynamische Idee ihre Chancen nutzen.
Ein erster Schritt einer Strukturierung besteht darin, ein klares Bild von den Begriffen zu bekommen mit denen wir arbeiten und sich bewusst zu machen, in welcher Argumentationsebene man sich befindet. Dies ist ein allgemeines Problem in der heutigen Zeit: Begriffe werden nicht klar definiert und erkannt! Dann werden sinnlose, zeitraubende Diskussionen geführt, bei denen jeder Beteiligte auf seine Weise recht hat. Ein Ziel, eine Einigung, Handlungsfähigkeit sind deshalb in weiter Ferne, weil man an einander vorbei redet.
Den Begriff „Wald», wie wir ihn heute ( im abendländischen Sprachraum) verwenden, gibt es eigentlich noch gar nicht so lange. Noch vor 200 Jahren verstand man unter „Wald» nur die grünen Kronenteile eines Baumbestandes. Folgerichtig verstand man unter „entwalden» das Entasten bzw. Entlauben von Stämmen, unabhängig davon, ob diese lebendig ( also: stehen) oder tot ( also: gefällt) sind. Das mag zunächst als spitzfindig erscheinen, hat aber sehr weitreichende Folgen auf die weitere begriffliche Handhabe unseres Tuns in Wald und Forst und dessen Relevanz für eine ganzheitliche Betrachtungsweise in der Wald- und Forstwirtschaft, der Landwirtschaft, dem Obst- und Gartenbau, dem Jagdwesen und dem Naturschutz.
Im Folgenden verwende ich den Begriff „Wald» dann, wenn Baumbestände ganzheitlich als Bestandteile einer Wesenheit betrachtet werden, zu der auch Hecken, Säume, Wildtiere und der jeweilige Boden zählen. „Forst» verwende ich, wenn Baumbestände rein technisch, die Strauchschicht als „Unholz», das Wild tendenziell als Schädling der Holzproduktion und der Boden lediglich als Nährstoffträger gesehen wird.
2. Historische Entwicklung
Bei aller Vorsicht, mit der Aussagen und Schlüsse angesichts der dünnen Erkenntnislage über die Geschichte allgemein zu behandeln sind, können wir davon ausgehen, dass sich die menschliche Kulturgeschichte sehr fließend und langsam aus einem – wie auch immer – instinktiven Verhältnis zur Natur entwickelte. Die altsteinzeitlichen Jäger- und Sammlergesellschaften lassen sich nur schemenhaft von dem unterscheiden, wie sich heute beobachtbar Tiere verschiedener Entwicklungsgrade der natürlichen Ressourcen zum Überleben bedienen. Der damalige Wald und andere Landschaftsformen traten den Menschen als Gesamtheit entgegen. Zum Überleben bediente man sich allem, dessen man habhaft werden konnte. So rigoros wie der Urmensch sich bediente, war er auch den existenzbedrohenden Kräften, die ihm entgegen schlugen, ausgesetzt. Nach biologisch-dynamischer Lesart fand neben dem substanziellen Austausch auch ein unmittelbarer, reger Informationsaustausch statt. Dieser bildete als Erfahrung die Basis der weiteren kulturellen Entwicklung der Menschheit. Quelle war die natürliche Vitalität in ihrer Gesamtheit. Ein regulierendes Eingreifen des Menschen – bewusst oder unbewusst – stellte sich erst allmählich ein, in dem Maße, wie sich Erfahrung ansammelte und sich der existenzielle Druck abmilderte.
Mit der Entstehung von Ackerbau und Viehzucht veränderte sich der Umgang mit der Natur einschneidend, und zwar sowohl substanziell als auch geistig: Der Mensch erreichte eine neue Stufe der Emanzipation von der Natur im allgemeinen. Unbedingt zu beachten ist dabei, dass sich diese Wandlung über einen sehr langen Zeitraum erstreckte und sich auch geografisch sehr divergent vollzog. Tendenziell kann man von einem Raubbauverhalten sprechen (freilich nicht in den Dimensionen wie heute!), insofern auf Urwald oder ähnlich wilde Landschaftsformen zurückgegriffen, die jeweilige natürliche Ressource ausgebeutet wurde und man bei nachlassender Fruchtbarkeit neue Flächen nutzte. Die „verbrauchten» Flächen überließ man sich selbst, um sie nach ihrer „Selbstreinigung» gegebenenfalls wiederum zu nutzen. Dies gilt nicht nur für den Ackerbau, sondern auch für die Nutzung von Wildtieren zu Zuchtzwecken. Tatsächliche Nutzrassen und dauerhafte Wirtschaftsflächen entstanden sicherlich erst in der relativ nahen Vergangenheit. Und wir dürfen davon ausgehen, dass sich manche ökologische und soziale Tragödie abgespielt hat, bis sich gewisse Kontinuitäten einpendeln konnten. Neuere Erkenntnisse sehen beispielsweise den Rückgang der Lindenbestände in Europa gegen Ende der Steinzeit (Pollenanalyse) in Zusammenhang mit der menschlichen Übernutzung der Linde als Bastlieferant für Kleidung. Immer ist in hohem Maße auf wilde Ressourcen zurück gegriffen worden, um Kulturformen – sowohl tierische wie pflanzliche – „aufzupeppen».
Mit den ersten Hochkulturen schließlich entstand auch der Obst- und Gartenbau, als wesentlich komplexere Form der Nutzung und Formung von natürlichen Ressourcen. Bei den Hochkulturen – gewiss auch schon vorher – trat ein anderes Moment zum Vorschein: Die Natur, aus der die Urproduktion schöpfte, verlor langsam ihren ganzheitlichen Aspekt. Sie begann sich in der geistigen Welt der Menschen in verschiedene Branchen zu splittern. Nicht mehr jedermann durfte und konnte frei auf die Jagd gehen, Bäume fällen, Brachen bebauen. Stände und Berufsgruppen kamen auf, Spezialisierung und systematische Technik setzten ein. Erst dadurch konnten andererseits kulturelle Höhen erreicht werden. Trotzdem waren die Handlungen von geistigen Gegenleistungen durchzogen (Rituale, Opfergaben usw.), um die Erinnerung an die „wilden Ursprünge» wach zu halten, um die Kulturleistung in einem geregelten Gleichgewicht gegenüber der Natur zu halten. Missverhältnisse bestrafte langfristig der geschichtliche Fortgang, bis hin zum Untergang der entsprechenden Kultur. Immerhin war man nun schon in der Lage, die gemachten Erfahrungen abstrakt weiter zu tragen, damit nachfolgende Generationen auch nach Kulturbrüchen darauf zurückgreifen können. Selbst wenn dies von der aufzeichnenden Gesellschaft nicht originär beabsichtigt war. Entscheidend ist die geistige Idee der menschlichen Kulturgeschichte!
Obwohl experimental-archäologische Versuche darauf hindeuten, dass die Erträge, die in der Steinzeit erwirtschaftet wurden, gar nicht so weit von denen heutiger Leistungssorten entfernt waren, blieben die Jagd und das Sammeln immer ein wichtiger Bestandteil der Versorgung mit Nahrung. Es ist zwar schwer bzw. nicht wissenschaftlich belegbar, aber es liegt nahe, dass „wilde» Fruchtbäume bei allen Kulturen der gemäßigten Zonen eine bedeutende Rolle spielten: Sie bildeten eine sehr zuverlässige, hochwertige und ertragreiche Ernährungsbasis. Diese Annahme ermöglicht z.B. eine ganz andere Lesart der Bonifatius-Geschichte. Unterstellt man, dass die Donarseiche der Friesen – solche „heilige Bäume» gab es auch bei anderen Stämmen und den Ureinwohnern Nordamerikas – in Wirklichkeit ein Fruchtbaum war, entzog Bonifatius ( 673 – 754 n. Chr.) durch deren Fällung dem Friesenstamm seine Autarkie in der Ernährung oder schränkte sie zumindest drastisch ein. Persönliche Erfahrungen mit Naturvölkern legen dieses Bild nahe. Naturvölker sind sehr viel pragmatischer, als dies exotische Berichte von Riten und Bräuchen suggerieren. Natürlich kann ein solcher wertvoller Fruchtbaum als „heilig» bezeichnet werden. Aber es mutet schon sehr naiv an, den Völkern zu unterstellen, sie würden einen Baum einfach nur so „anbeten», ohne direkten Nutzen.
Die Sache mit den Fruchtbäumen wurde später von verschiedenen Mönchsorden aufgegriffen bzw. weiter kultiviert, vielleicht spielten dabei schon machtpolitische Interessen eine Rolle. Es gab Perioden im Mittelalter, in denen witterungsbedingt über Jahre oder gar Jahrzehnte hinweg keine ordentlichen Getreideernten eingebracht werden konnten. Ohne die Fruchtbäume ist das Überleben der damaligen Bevölkerung undenkbar. Ab dem 30-jährigen Krieg, bei den Indianerkriegen in Nordamerika und noch bis nach dem II. Weltkrieg wurde die Zerstörung von Fruchtbaumbeständen gezielt als politisches Instrument eingesetzt, um die Eigenständigkeit der unterworfenen oder besiegten Kulturgruppen nachhaltig zu unterhöhlen. Auch umgekehrt vernichteten z.B. Indianerstämme vor deren Vertreibung ihre uralten Fruchtbaumbestände, um den Invasoren die Nachbesiedelung wenigstens zu erschweren.
Heute gibt es (in Europa) kaum noch Fruchtbäume; was darunter zu verstehen ist, soll im 4. Kapitel (Versuch einer biologisch-dynamischen Forstwirtschaft) näher erläutert werden.
3. Forst- und Agrarwissenschaften
Die Forst- und Agrarwissenschaften haben nur sehr begrenzte Aussagekraft. Dies hat nichts mit einer fundamentalen Kritik an der wissenschaftlichen Systematik zu tun, sondern liegt in der Logik ihrer historischen Entwicklungen. Die modernen Wissenschaften insgesamt gibt es nunmehr seit etwa 200 – 250 Jahren. Da die Forst- und Agrarwissenschaften ein Sujet behandeln, das über wesentlich längere Zeiträume beobachtet werden muss, um „wissenschaftliche» Erkenntnisse überhaupt erst erhalten zu können, stecken beide noch fest in ihren „Kinderschuhen». Darüber dürfen auch nicht die als Erfolg deklarierten Sachverhalte hinwegtäuschen (Stichworte: synthetische Dünge- und Pflanzenschutzmittel, „moderne Züchtung», bis hin zur Gentechnologie); die Beobachtungszeit, hier wissenschaftliche Aussagen nach Kriterien, die sich die modernen Wissenschaften selbst setzen bzw. gesetzt haben, reicht einfach nicht aus. Wenn beispielsweise in den Forstwissenschaften eine Eiche mit 250 Jahren als „erntereif» bezeichnet wird, so muss die Frage erlaubt sein, wie diese Aussage begründet sein soll. Zweifellos können Eichen sehr viel älter werden, dafür gibt es Beispiele. Bis zum ausgehenden Mittelalter waren in Mitteleuropa die Urwälder weitgehend verschwunden. Wir müssen davon ausgehen, dass die wirklich hochwertigen alten Bäume ebenso weitgehend geplentert waren (Plenterung / plentern: Einzelstammnutzung in Waldbeständen). Betrachtet man das Baumaterial alter Fachwerkhäuser – hier wurde gewiss nicht das allerbeste Holz verarbeitet – zeigt sich, dass ein vergleichbares Holz heute schlicht nicht mehr verfügbar ist. Ähnliches gilt für Ruten und Wellenholz, die in Gefachen und Decken verbaut wurden. Es gibt heute keine gepflegte Schnaitelwirtschaft mehr, die diesen Rohstoff in ausreichender Menge zur Verfügung stellen kann. Die Reihe ließe sich fortsetzen.
Wenn nun im wesentlichen nur noch die minderwertigen alten Bäume im Forst stehen und standen, kann definitiv keine „wissenschaftliche» Aussage über die Schlagreife von Eichen gemacht werden. Selbst wenn vor 200 Jahren begonnen wurde, die Eichen systematisch zu beobachten, sind diese Bäume heute lediglich „schlagreif» per Definition, weil die Wissenschaft gar keine älteren Bäume und deren Potential kennt.
Also sind wir im Forst- und Agrarbereich auf Überlieferungen angewiesen, unabhängig davon ob diese nun „wissenschaftlich» sind oder nicht. Die Vorgehensweise einer Forst- und Agrarwissenschaft muss sehr sensibel sein; und mit Aussagen, die als „wissenschaftlich» begründet oder fundiert gelten, ist so gesehen wenig anzufangen.
Vielmehr hat man Grund zur Annahme, dass in eben den letzten 200 Jahren, übrigens auch im Bereich der Landwirtschaft, ein Weg eingeschlagen wurde, der gewisse Bedenklichkeiten aufweist – um es einmal ganz vorsichtig auszudrücken. In der Forstwirtschaft äußert sich dies u.a. im Umgang mit dem Forstbestand nach weitgehend rein betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten. Dem Kostendruck und den Ertragsaussichten werden im Zweifelsfalle praktisch alle Überlegungen nachgeordnet. Dann wird dieses Tun dreist mit „wissenschaftlichen» Erkenntnissen zu untermauern versucht, die einer kritischen Betrachtung kaum stand halten können. Hier sollte man doch ehrlich genug sein, dass bloß wirtschaftlichen Überlegungen gefolgt wird. Dies würde die Diskussion erleichtern und den Handelnden nicht auch noch das Gefühl geben, ökologischen Gesichtspunkten Rechnung zu tragen. Bei den derzeitigen forstwirtschaftlichen Rechnungen ist der Holzbestand das einzige Ertragspotenzial. Entsprechend entscheiden die Marktpreise für Holz über Einschlagmengen, Wegebau, Aufforstungsmaßnahmen, Ausweisung von Bannwald usw. Die waldwirtschaftlich vertretbaren (i.e. „wissenschaftlich» ermittelten) Einschlagmengen wechseln fast jährlich, ebenso wie die dabei angewandten technischen Methoden ( Vollerntereinsatz, Hiebzeiträume usw.): Sind die Holzpreise hoch, wird viel Holz zu fast beliebigen Jahreszeiten eingeschlagen. Ist der Preis niedrig, werden „waldschützerische» Maßnahmen z.B. Hiebbegrenzungen vorgeschoben, obwohl sie letztlich nur der Kostendämpfung dienen.
Dies führt zu einem insgesamt sehr respektlosen Umgang mit dem Wald. Der ökologische Wert von Waldflächen, der nicht oder nur sehr schwierig monetär zu bewerten ist, spielt dabei praktisch keine Rolle, allenfalls in „Sonntagsreden».
Ähnlich verhält es sich mit dem Wert der Bienen, der zumindest in Europa – von der konventionellen Seite her – nur nach Honigertrag ermessen wird, obwohl dieser fast verschwindet gegenüber der Bienenleistung in der Befruchtung von Blütenpflanzen (derzeit schätzt man diesen Wert in Mitteleuropa auf ca. 4, 5 Milliarden Euro jährlich, wovon aber kein Imker etwas abbekommt). Wird dieser Wert erkannt, schlägt das Verhältnis schlagartig um, wie in den USA zu beobachten ist: Die Bienenhaltung wird zur reinen Bestäubungsindustrie mit allen – negativen – Konsequenzen. Diesen steht die Wissenschaft sprachlos gegenüber. Es wird wieder geforscht und Aussagen formuliert, die das „in den Brunnen gefallene Kind» erklären sollen, obwohl die Katastrophe mit klarem Verstand – aber eben nicht wissenschaftlich fundiert – vorhersehbar war. Auch hier tritt wieder der Effekt zu Tage, dass die Wissenschaften keine Aussagen über Sachverhalte machen können, die noch nicht empirisch in Erscheinung getreten sind.
In der konventionellen Forst- und Agrarwirtschaft ist diese Vorgehensweise allgegenwärtig, wird aber von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen.
4. Versuch einer biologisch-dynamischen Forstwirtschaft
Seit einigen Jahren ist eine gewisse Merkantilisierung in der Biobranche beobachtbar. Diese hat viele verschiedene Ursachen. Es bietet sicherlich große Vorteile und Chancen, wenn der ökologische – insbesondere der biologisch-dynamische – Gedanke eine Stärkung in der Gesellschaft erfährt. Andererseits muss man aber feststellen, dass mit diesem Boom auch besorgniserregende Tendenzen einher gehen.
Die Grundlage des vorliegenden Exposés stammen wesentlich aus der Arbeit des biologisch-dynamischen Arbeitskreises Würzburg. Dort macht man sich schon seit geraumer Zeit Gedanken darüber, wie die Komponenten Landwirtschaft, Obst- und Gartenbau, Forstwirtschaft und Imkerei so zusammengeführt werden können, wie dies dem ursprünglichen Ansatz biologisch-dynamischen Wirtschaftens gemäß ist. Das Jagdwesen und der Weinbau sind (noch) nicht in dem Maße vertreten, wie es wünschenswert wäre. Trotzdem hat die Arbeit einige Anhaltspunkte erbracht, die auch in die Demeter-Verbandsarbeit übernommen werden sollten. Hinsichtlich dem forstwirtschaftlichen Ansatz können wir auf langjährige Erfahrungen und Seminare im In- und Ausland zurückgreifen. Mit dem Demeter-Hof Wüst in Königheim-Brehmen ist eine Möglichkeit entstanden, diese Erkenntnisse auch in die Landwirtschaft zu tragen und zu testen. Die Ergebnisse sind vielversprechend.
Ein mögliches Ziel der Integration biologisch-dynamischer Forstwirtschaft in die Demeter-Arbeit könnte beispielsweise sein, kleinstrukturierte Betriebe, die oft viel näher am Ideal des Hoforganimus sind, als spezialisierte Großbetriebe, zu entlasten. Solche kleine und mittlere Betriebe haben nicht selten Waldflächen, die wenig oder gar keine Berücksichtigung finden. Oft werden sie mehr oder weniger „konventionell» mit gezogen, sei es aus mangelnder Sensibilisierung des Landwirts oder mangels entsprechender Regelungen, Beratung und Kenntnisse seitens des Demeter-Verbandes (vgl. hierzu die ähnlich gelagerte Problematik einer biologisch-dynamischen Kellerwirtschaft im Weinbau).
Beispielhaft sollen hier die Pflege von Fruchtbäumen, Schnaitelwirtschaft, Falllaubnutzung, extensive Hecken- und Waldrandpflege, sowie Präparateeinsatz im Wald kurz erörtert werden. Diese Nutzungsformen überschneiden sich teilweise. Wichtig ist vor allem, dass Synergie-Effekte zum Tragen kommen und sich daraus nicht noch mehr „Zwangsarbeit» für die Landwirte ergibt. Dann könnten Konzepte entwickelt werden gegen die Tendenz, mit Flächenausdehnung und Spezialisierung (d.h. Entfernung vom Ideal des Hoforganismus) ökonomische Vorteile, sei es ertragsmäßig oder durch konzentrierten Arbeitsaufwand zu erzielen. Ein Effekt, der beispielsweise durch das „cross compliance» ebenfalls entsteht: Es ist einfacher nur Ackerbau oder nur Viehzucht zu betreiben und sich so um die Anforderungen der jeweils anderen Disziplin nicht kümmern zu müssen. Gerade für reichstrukturierte Kleinbetriebe ist die Schwelle schnell erreicht, dass Zweige aufgegeben werden müssen, weil die Auflagen finanziell oder arbeitsmäßig einfach nicht mehr zu bewältigen sind und Mängelberichte unmittelbar auch in den Haupterwerbszweig durchschlagen. Es wäre fatal, wenn sich bei Demeter eine ähnliche Tendenz entwickelt und keine Mittel zur Verfügung stünden, dem zu begegnen.
Fruchtbäume:
Unter Fruchtbaum, sofern selbst Fachleute überhaupt schon einmal etwas davon gehört haben, versteht man heute normalerweise das gleiche wie unter Obstbaum. Das ist nicht richtig. Zwar werden Fruchtbäume für den Verzehr beerntet, aber sie liefern kein Obst sondern Grundnahrungsmittel. Außerdem sind auch andere Bäume als die Rosengewächse als Fruchtbäume nutzbar. In Notzeiten wurden bis nach dem II. Weltkrieg etwa Bucheckern gesammelt. Für einen „echten» Fruchtbaum sind allerdings besondere Entwicklungsbedingungen notwendig, die entweder künstlich gesteuert oder zufällig durch natürliche Verhältnisse herbei geführt werden.
Die Entwicklung zum Fruchtbaum ist ein sehr langer Prozess. Für Eichen gibt es die Faustformel: „500 Jahre wachsen – 500 Jahre stehen – 500 Jahre fruchten». Bei den Kulturformen heutiger Obstbäume wird die Zeit bis zum Fruchten immer weiter abgekürzt: Veredelung auf immer schwächere Unterlagen, das Herunterbinden von Zweigen und Schnitttechniken dienen dazu, den Baum künstlich zu altern und zum Fruchten zu bringen. Wenn man einen Baum an den Rand des Absterbens bringt, so fruchtet er besonders stark und gefällte Bäume blühen häufig noch einmal, Fruchtansätze kommen in die so genannten Notreife, sogar zur Unzeit. Es ist leicht nachvollziehbar, Zweifel an der Qualität so entstandener Früchte zu haben. Schon Hildegard v. Bingen warnte ausdrücklich vor dem Verzehr unreifer Früchte. Unreif können Früchte also nach zwei Gesichtspunkten bezeichnet werden: Wenn sie unreif, eben noch „grün» sind – wie der Volksmund sagt – oder wenn sie von Pflanzen stammen, die noch nicht die nötige Reife haben, um überhaupt zu fruchten. In der Natur kommen beide Arten höchstens in Notzeiten vor. Bei den Kulturpflanzen wird dies gezielt provoziert, um früher in die Ertragsphase zu gelangen. Dafür altern diese Bäume viel schneller, und zwar um so schneller, je konsequenter vorgegangen wird. Über die Qualitätsauswirkungen auf die so erzeugten Früchte werden keine Aussagen gemacht.
Ein von Menschenhand gezogener Fruchtbaum wird durch besondere Schnittmaßnahmen zu einer intensiven Jugendentwicklung gebracht. Da über den Schnitt die Wurzelausbildung gesteuert werden kann, wird z.B. durch Astringschnitte ein sehr großer und tiefer Wurzelkörper erzeugt. Während dieser Wachstumsphase ist keinerlei Fruchtung zu erwarten. Diese ist eher unerwünscht, da sie ein Anzeichen dafür ist, dass der Baum die Jugendphase schon verlassen hat. Kommt ein solcher Baum dann endlich nach etlichen Jahrzehnten oder gar Hunderten von Jahren zum Fruchten, so ist der Ertrag gewaltig, fast unabhängig von der Witterung und von bestechender Qualität. Die Eicheln einer Fruchteiche sind von so guter Qualität, dass sie direkt zu backfähigem Mehl gemahlen werden können (vereinzelt existiert diese Kulturform noch in Skandinavien). Der Hektarertrag eines so gezogenen Birnbaumes an Rohzucker übersteigt alles, was heute in der üblichen Landwirtschaft erzeugt werden kann, obwohl keinerlei Düngung und Pflanzenschutz erfolgt. Spärliche Informationen gibt es hierüber z.B. aus Siebenbürgen, wo Fürsten der Vergangenheit die Anlage von Fruchtbirnbäumen in Dörfern zur Pflicht machten, um Hungersnöten vorzubeugen. Nach der Vertreibung am Ende des II. Weltkrieges wurden unter dem Ceaucescu – Regime diese Bäume systematisch gefällt, um eine Rückkehr der Vertriebenen bzw. die Fortführung dieser „Bourgoisie-Kultur» zu verhindern und die Menschen in die „sozialistische Gemeinschaft» zu drängen.
In mediterranen Gegenden waren im Mittelalter Fruchtbaumbestände an Edelkastanien und Walnüssen von existenzieller Bedeutung für die Menschen.
Vor allem im Rheinland fällten die Briten großflächig insbesondere wertvolle Ulmenbestände, um eine unabhängige Erneuerung Deutschlands zu verhindern. Aus der Ulmensaat kann eine überaus nahrhafte „Milch» erzeugt werden, die für Kleinkinder sogar als Muttermilchersatz dient. Dies kam in Notzeiten zum Tragen, wenn geschwächte Mütter nicht mehr in der Lage waren, die Säuglinge ausreichend zu versorgen.
Die modernere amerikanische Kultur weiß bzw. wusste um diese Zusammenhänge offensichtlich nicht. In deren Sektoren blieben die alten Bäume zunächst stehen, bis sie in den 1950er und 1960er Jahren dem „Wirtschaftswunder» zum Opfer fielen. Es ist davon auszugehen, dass dies hauptsächlich mit Unwissenheit zu erklären ist.
Da die Fruchtbaumkultur eine bäuerlich-handwerkliche war, gibt es kaum Texte darüber. Die Menschen, die darüber Bescheid wussten, wurden in den beiden Weltkriegen stark dezimiert, die verbliebenen in der modernen Industriekultur nicht ernst genommen. Mittlerweile sind sie – wie die Bäume selbst – fast ausgestorben, mit ihnen das handwerkliche Wissen. Industrie und Handel haben natürlich kein Interesse an autarker, regionaler Urproduktion.
Geeignet zur Fruchtbaumerziehung sind fast alle Bäume, die fleischige oder nussartige Früchte ausbilden. Allerdings ist der Entwicklungsprozess sehr lange, übersteigt ein Menschenleben bei weitem, was das Interesse des individuell betonten Bürgers im Industriezeitalter schmälert. Dafür können Fruchtbäume über viele Generationen zuverlässig genutzt werden. Es werden vielleicht Zeiten kommen, in denen die Menschheit sie zum Überleben dringend brauchen wird; solche Zeiten hat es ja auch in der Vergangenheit schon gegeben.
Schnaitelwirtschaft:
Auch die Schnaitelwirtschaft ist weitgehend ausgestorben. Sieht man von einzelnen Weidenanlagen für die Korbflechterei und eher musealen Kopfbäumen im Rahmen des Naturschutzes ab, ist nicht mehr viel übrig geblieben.
Auf mittelalterlichen Holzschnitten sind häufig kopfbaumartige Gewächse im Angerbereich der Siedlungen dargestellt. Das sind keine naiven Baumdarstellungen auf Grund künstlerischen Unvermögens, sondern die Bäume gehörten tatsächlich zum Erscheinungsbild der Dorfumgebungen. Auch sie waren Grundlage autarker Urproduktion, sei es als Nahrungsmittel, als Futtermittel oder als Werk- und Baustofflieferanten. Wie die Fruchtbäume sind auch die so genannten „Luftwiesen» in vielerlei Hinsicht ungeheuer ertragreich, im Vergleich zur „normalen» Wiese.
Der Schnaitelbaum ist gewissermaßen das Gegenteil des Fruchtbaumes. Durch regelmäßigen Rückschnitt auf den Kopf, bleiben die Triebe beständig im Jugendstadium. Kennzeichnend sind das Fehlen von Blüte und Frucht, sehr lange, elastische Triebe und große fleischige Blätter mit geringerem Anteil an Bitterstoffen. Das ist Ergebnis der Umstellung des Stoffwechsels der Bäume. Auch bei älteren Kopfbäumen dauert es etliche Jahre, bis sich wieder Blüten und Früchte am Holz bilden können.
Bereits die noch geschlossenen Blattknospen, beispielsweise der Linde, sind auch für den menschlichen Verzehr bestens geeignet; sei es roh in Salaten oder angeröstet als Knabberzeug, ähnlich Pistazien. Die ganz jungen Blättchen schmecken herzhaft mit je nach Baumart verschiedenen Aromen. Je älter sie werden, umso mehr Bitterstoffe enthalten sie und werden zäher.
Als Viehfutter werden sie allemal gerne angenommen, einschließlich der grünen Ruten. Die Nutzungsformen sind vielfältig. Das Laub ist reich an Mineralien und wertvollen Begleitstoffen, die sowohl der menschlichen wie der tierischen Gesundheit sehr zuträglich sind. Zumindest bei Mutterkuhhaltung ersetzt Laubfutter die Lecksteine (ein alter Schweizer Landwirt erklärte mir das Laub der Hainbuche als sicheres Mittel gegen die Lecksucht).
Werden die Bäume im Frühjahr beerntet, sind sie in der Lage nach Johanni neues Laub zu bilden. So wird meist in zwei- bis vierjährigen Zyklen verfahren. Das Laub kann zu späterer Verwendung auch wie Heu getrocknet werden.
Die mehrjährigen langen Ruten sind nach ihrem Verholzen hervorragende Gerätestiele oder – wie oben schon erwähnt – zum Ausflechten von Lehmgefachen besonders gut geeignet. Die großen Blätter von Schnaitellinden wurden sogar als „Toilettenpapier» verwendet.
Die Nutzbarkeit von Schnaitelbäumen setzt sich im Spätjahr fort. Nun ist das Laub rauer geworden. Zum Verfüttern an Rinder – Ziegen und Schafe fressen es auch so – empfiehlt sich, es zu fermentieren. Dazu wird es in offenen Schuppen schichtweise eingelagert und jeweils leicht mit Wasser übersprüht. Eine sehr elegante Form der Lagerung und Fermentierung besteht darin, die Bäume schon auf den Weiden mehrarmig zu erziehen. Die belaubten Ruten werden dann bei der Ernte quer in diese Arme gelegt. Wind und Wetter fermentieren das Laub. Bei Bedarf werden die Bündel einfach herunter gezogen und das Vieh kann sich bedienen.
Es muss wohl kaum erwähnt werden, dass Kopfbäume eine große Bereicherung der Landschaft darstellen und Wildtieren (Insekten, Siebenschläfer usw.) als Lebensraum dienen. Der Unterschied der landwirtschaftlichen Schnaitelwirtschaft zur heutigen Kopfbaumpflege ist der, dass nicht zusätzlicher Aufwand entsteht und wertvolles Futterlaub „entsorgt» werden muss, sondern dass Kosten und Arbeit gespart werden und die Unabhängigkeit der Landwirtschaft gefördert wird.
Auf dem Brehmer Demeter-Hof haben wir Fütterungsversuche mit Nadellaub (Fichte und Tanne) durchgeführt. Im Winter fallen bei der Stangenernte große Mengen von Nadelholzzweigen an, die normalerweise im Wald verbleiben und dort wie eine Mulchschicht wirken oder verbrannt werden. Wir haben sie zu so genannten Tristen aufgesetzt, das sind igluartige Halbkugeln. So bleiben sie den Sommer über stehen, bis die Nadeln abgefallen sind. Übrig bleiben ein gutes Bündel Anfeuerholz und die Nadeln als Haufen. Die Fermentierung hat die unbekömmliche Wachsschicht der Nadeln abgebaut. Das getrocknete Erntegut wurde dem Schrotgetreide für die Mastschweine zugesetzt und von diesen gerne angenommen. Auch die Rinder nehmen die Nadeln an, wenn sie zuvor mit heißem Wasser übergossen werden. Diese Nadeln sind ebenfalls sehr mineralreich. In weiteren Versuchen sollen sie für die Rinder mit Rübenschnitzel und Melasse verschrotet, angeboten werden.
Falllaubnutzung:
Die landwirtschaftliche Falllaubnutzung ist in den Forstwissenschaften in Verruf geraten. In den 1920er Jahren wurde sie teilweise sogar verboten und noch heute geistert das Bild unverantwortlichen Raubbaus durch die Köpfe vornehmlich von Forstleuten und Jägern. Bei den heutigen Landwirten gilt sie meist als „Arme-Leute-Nutzung», der die moderne Landwirtschaft entwachsen ist.
Die Falllaubnutzung hat eine sehr alte Tradition und bringt bei richtiger Anwendung sowohl der Landwirtschaft, als auch dem Wald großen Nutzen. Die Meinungen, die zum Verruf und Verbot führten, gründen in einer kardinalen Fehleinschätzung: Schaden entsteht dann, wenn das Laub mehrere Jahre in Folge genutzt wird und/oder der Wald zu intensiv bzw. mit falschem Gerät „gefegt» wird. Als Grundlage dienten den damaligen Forsträten und Wissenschaftlern die Notzeiten insbesondere nach dem I. Weltkrieg und während der Weltwirtschaftskrise, wo die Bauern Mühe hatten, ihr Vieh am Leben zu erhalten. Das Falllaub war oft die einzige bezahlbare Futterquelle. Von handwerklich korrekter Nutzung konnte nicht die Rede sein. Ganz ähnlich sah es nach dem II. Weltkrieg aus; die damals angerichteten Schäden in den Wäldern sind teilweise heute noch zu erkennen.
Die ordentliche Falllaubnutzung erfolgt in Zyklen von 5 oder 7 Jahren (sic!). Wichtig ist ferner, dass das „Fegen» sehr schonend und zum rechten Zeitpunkt im Spätherbst durchgeführt wird. Dazu verwendet man am besten speziell in Wasser gebogene Nadelholzbesen. Das Laub wird dann eher geschaufelt als gekehrt bzw. gerecht. So wird erreicht, dass nur das frische, lose Laub „geerntet» wird und die bereits in die Humusschicht eingebauten Blätter zurückbleiben; jene sind für den gewünschten Zweck ohnehin untauglich. Genutzt wird es etwas angefeuchtet als Einstreu im Stall oder Unterstand. Die Aufnahmefähigkeit ist viel höher als bei dem üblichen Stroh. Außerdem finden die Tiere allerhand Zuträgliches (z.B. Moos- und Flechtenreste), das sie herausklauben. Der so mineralisch angereicherte Festmist ist viel wertvoller, als jener stickstoffbetonte, der bei reiner Stroheinstreuung entsteht, und leichter kompostierbar. Der Misthaufen kann dann wieder wohlriechend zur Straße hin als „Stolz des Bauern» gezeigt werden und muss nicht stinkend und nach unten abgedichtet irgendwo vor dem Wasserschutz versteckt werden.
Die schonend „gefegten» Waldflächen bieten ideale Bedingungen für Naturaufforstung, da die keimende Baumsaat im Herbst nicht „zugemulcht» wird. Interessanterweise haben Keimversuche nach biologisch-dynamischen Aspekten (Planetenzyklen) signifikantes Verhalten hinsichtlich Keimfähigkeit und Ausbildung des jeweiligen Phänotyps (z.B. Blattformen) ergeben, die sich offensichtlich an 5- bzw. 7-jährigen Zyklen orientieren.
Bei sachgerechter Durchführung kann also von „Raubbau» keine Rede sein! Niemand würde derzeit auf die Idee kommen, die Stickstoffdüngung zu verbieten, weil bei 500 kg Stickstoff pro ha mit Sicherheit das Grundwasser verseucht wird und die Kulturpflanzen verbrennen.
Die Falllaubnutzung zeigt vielmehr eine synergetische Nutzungsform und den Wald als (erneuerbare) landwirtschaftliche Rohstoffquelle für – chemisch gesprochen – Spurenmineralien. Das könnte für die Zukunft ein wichtiger Beitrag zur desaströsen Entwicklung der Phosphorversorgung unserer Kulturböden sein.
Extensive Hecken- und Waldweide:
Auf dem Demeter-Hof in Brehmen werden Mutterkühe ganzjährig im Freien gehalten. Wo immer möglich zäunen wir Hecken oder Waldstücke mit ein. Die eher kleinrahmigen Hinterwälder und Englisch Longhorns verursachen im Gegensatz zu schweren Fleischrassen weniger Trittschäden. Die Tiere halten sich gerne in den Gehölzen auf und fressen das Laub, soweit erreichbar, ab. Im Herbst pflücken sie z.B. auch Hagebutten. Schäden an Hecken und Bäumen treten nicht auf, wenn die Tiere rechtzeitig umgeweidet werden.
Ansonsten ist die Pflege der Gehölze durch die Tiere vorbildlich. Sie verhindern nachhaltig Verbuschung und Vergrasen der Hecken und gliedern sauber die Horizonte. So haben Blütenpflanzen Gelegenheit sich am Boden der Hecken gut zu entwickeln, ebenso werden die Heckenbrüter im oberen Bereich nicht gestört. Verbissstellen sind kaum zu erkennen und verwachsen zügig.
Selbst zeitaufwändiger Rückschnitt der Hecken von Hand ist nicht so schonend wie die Arbeit der Rinder; vom brachialen Einfall mit schwerem Gerät ganz zu schweigen.
Letztere Unart ist in den vergangenen Jahren immer häufiger zu beobachten. Bauhöfe und übermotorisierte Landwirte freuen sich darüber in der „arbeitsfreien» Zeit Deckungsbeiträge für die teuren Maschinen einfahren zu können. Das an sich wertvolle Schnittgut wird mit großem Aufwand weggeschafft und verkompostiert oder in riesigen Haufen verbrannt, dieweil mit ebenso großem Aufwand Futter und Futterergänzungsstoffe für die Tiere erzeugt oder gar von anderen Kontinenten herbei geschafft werden müssen.
So „gepflegte» Hecken brauchen Monate, um sich einigermaßen zu erholen. Die von den schnell rotierenden Schneidwerkzeugen verursachten Schäden – es wird mehr gerupft und gefräst als geschnitten – sind noch nach Jahren erkennbar. Im Frühjahr dauert es Wochen, bis sich Heckenvögel wieder einfinden. Und es entstehen ungeheure Kosten.
Bei der Gehölzpflege mit Tieren – es gibt auch elegante Beispiele mit Ziegen und Schafen – paaren sich zuträgliches Futterangebot mit perfekter Pflege bei geringem Arbeitsaufwand in synergetischer Weise.
Waldrandpflege:
Waldrandgestaltung war schon im Reichsnaturschutzgesetz von 1933 ein Thema, ist inzwischen aber wieder weitgehend in der Versenkung verschwunden. Selbst an heutigen Waldlehrpfaden wird darauf verwiesen, dass der angemerkte rudimentäre Waldrand viel ausgedehnter sein müsste, um seine wichtige Funktion erfüllen zu können. Als Verknüpfungslinie zu landwirtschaftlichen Flächen hat der Waldrand eine besondere Bedeutung: „Daher müßte innerhalb der Landwirtschaft auch ein Auge darauf geworfen werden, in der richtigen Art Insekten und Vögel herumflattern zu lassen.(…) Denn in der Natur (…) hängt doch alles, alles zusammen.(…) Durch die fliegende Insektenwelt ist die richtige Astralisierung der Luft bewirkt. Sie steht (…) im Wechselverhältnis zum Wald.(…) Dasjenige, was der Wald tut (…), das muß durch ganz andere Dinge getan werden da, wo waldleere Gegenden sind.» Rudolf Steiner, Landwirtschaftlicher Kurs 1924.
Der Waldsaum ist heute meist nur wenige Meter breit und oft schnurgerade, damit der Landwirt bequem mit seinen Geräten entlang fahren kann. Häufig wird sogar in die sensiblen Heckenstreifen sukzessive hineingepflügt, um noch ein paar Quadratmeter Anbaufläche zu erheischen, bis ein aufmerksamer Förster Einhalt gebietet, indem er auf vielleicht noch vorhandene Grenzsteine weist. Dabei ist gerade ein gesunder Waldrand, neben der Streuobstwiese, die artenreichste Struktur unserer Breiten (übrigens auch im tropischen Regenwald, wo sich der Waldrand meist an Flussläufen realisiert). Das Spiel von Licht und Schatten durch reiche Mäandrierung des Waldrandes fördert die artenreiche Entwicklung von Krautstreifen und breit gedehnter Stufung des Busch- und Heckenbereichs bis hinein in den eigentlichen Wald. Hier kommt der von Steiner angemahnte Effekt zur vollen Entfaltung: Insekten und Vögel tragen die Kraft des Waldes hinaus in die landwirtschaftlichen Flächen. Eindrücklich zeigen dies beispielsweise Waldränder, die der Würzburger Arbeitskreis seit vielen Jahren nach biologisch-dynamischen Gesichtpunkten pflegt und gestaltet.
Auch hierzu sollte der Demeterverband Möglichkeiten zur Aufklärung und Sensibilisierung für Landwirte schaffen und zwischen Waldbesitzern und Landwirten wo möglich vermittelnd tätig werden.
Präparatearbeit in Wald und Forst:
Selbst bei respektvollem Umgang mit der Ressource wird der Wald bzw. Forst noch für lange Zeit ein „Pflegekind» bleiben. Die Schäden insbesondere der letzten 50 bis 150 Jahre industrieller Waldnutzung sind nicht im Schnellverfahren zu beheben. Es wird noch einige Generationen dauern, bis wir wieder Wälder zur Verfügung haben, die aus sich heraus Nutzungsmöglichkeiten bieten. Vorerst ist auch mit Rückschlägen zu rechnen, da – wie oben dargestellt – große Teile der Forstverwaltung und -wissenschaft immer noch nicht begriffen haben, um was es eigentlich geht. EU-Auflagen und die Aussicht der Industrie, im Rahmen des „Klimaschutzes» mit Holzverwertung fette Gewinne machen zu können, bergen ebenfalls Risiken.
Wo möglich schlagen wir vor, im Sinne biologisch-dynamischen Wirtschaftens auch auf der geistigen Ebene zu arbeiten und diese Arbeit – wie auch immer – im Demeterverband zu unterstützen.
Die gewohnte Präparatearbeit gestaltet sich im Wald schwieriger als auf landwirtschaftlichen Flächen. Es macht wenig Sinn, mit Maschinen den Waldboden zu traktieren. Angesichts der großen Flächen ist es ferner utopisch, die Arbeit von Hand bzw. zu Fuß durchzuführen. Bei kleinen Initiativgruppen mag das noch funktionieren. Wenn sie aber den erforderlichen Umfang erreicht und aus der Erprobungsphase kommt, ist es so – schlicht – nicht zu bewältigen. Eine Hornkieselbehandlung in der üblichen Form schließt sich durch die Höhe der Bäume aus. Für kleinere Aufforstungsflächen ist es noch praktikabel. Denkbar wäre, sie von Fluggeräten aus oder mit Turbinenspritzen zu realisieren, was auch schon praktiziert wird.
Da aber im Wald ohnehin ganz andere Grundvoraussetzungen herrschen und ja gerade der Zustand der Selbstregulierung anzustreben ist, müssen auch andere Konzepte zur Anwendung kommen.
Ein vielversprechender Ansatz scheint uns im punktuellen Ausbringen von Initialpräparaten oder der Einsatz als Grenzlinienpräparate. Weiter ist zu untersuchen, ob der landwirtschaftliche Kanon der Präparate überhaupt zu verlassen bzw. zu ergänzen ist. Im Landwirtschaftlichen Kurs 1924 wurde auf die Gegebenheiten im Wald nur sehr allgemein eingegangen. In der weiteren Entwicklung des biologisch-dynamischen Ansatzes hat sich beispielsweise Hugo Erbe weiterführende Gedanken gemacht, die ausgebaut werden können. Auch die Herstellung von Waldkompost scheint viel versprechend. Dabei werden Schlagabraum und/oder Grassoden mit Walderde vermischt, zu größeren Haufen aufgesetzt und mit den Kompostpräparaten geimpft. Die Haufen liegen dann über einen Zeitraum von sieben Jahren und dienen dabei als Initialpräparat in Regenerationszonen.
Die förderliche Wirkung dieser Präparate ist in jedem Fall im Wald nach biologisch-dynamischen Kriterien erfahrbar.
Eine weitere sinnvolle Maßnahme scheint uns die gezielte Pflanzung von Waldbäumen und die Anlage von Fruchtwald als Informationsträger im Sinne der Präparatewirkung. Damit wäre auch der angestrebten Eigenständigkeit der Waldwesenheiten in ihrem Fortwirken Rechnung getragen.
Die genannten Vorschläge müssten auf die jeweilige Situation und zur Verfügung stehenden Möglichkeiten abgestimmt sein. Auch erheben sie keinen Anspruch auf Vollständigkeit; wir stehen gewissermaßen vor „Neuland» und viele Ideen entwickeln sich, wenn erst einmal ein Anstoß gegeben ist und auf konkrete Erfahrungen zurück gegriffen werden kann. Je breiter die Erfahrungsmöglichkeiten angelegt sind, umso mehr können sich Ansatzpunkte entwickeln. Deshalb sollte die Wald- und Forstwirtschaft namentlich in die Demeter-Arbeit integriert werden.
An dieser Stelle sei auf die Erfahrungen des Würzburger Arbeitskreises zu verweisen.
5. Nachtrag:
Die dargelegten Ausführungen sollen und können nur ein erster Anstoß sein, das weite und wichtige Feld der Waldwirtschaft stärker als bisher in die Arbeit von Demeter ein zu bauen. Es ist sicherlich auch schon viel wichtiges geleistet worden, sei es aus ehrenamtlichem Idealismus heraus oder durch Unterstützung von Demeter und FIBL. Heraus zu heben ist die Arbeit der Darmstädter Forstbaumschulen, die zu den wenigen – wenn nicht gar einzigen – Erzeugern von biologisch-dynamischen Pflanzmaterial zählen. Solche Standorte und die Mengen an verfügbarem Pflanzmaterial müssen ausgebaut werden, um diese Ansätze aufgreifen zu können. Selbst verantwortungsbewusste konventionelle Forstbetriebe suchen händeringend nach Saatgut und Pflanzmaterial aus wirklich nachhaltiger Erzeugung. Dabei könnte auch der alte Berufstand der Zapfensammler zu neuen Ehren kommen.
Angesichts der prekären Situation in Wald und Forst insgesamt und dem – auch bei Demeter – nicht ausreichend geregelten Verhältnis zwischen Wald- und Landwirtschaft, scheint uns Handlungsbedarf zu bestehen. Einerseits erscheint der „Kampf gegen Windmühlen» im Forstbereich zuweilen frustrierend und fast aussichtslos. Andererseits machen die vielen Versuche, die Kenntnis von und der Kontakt mit vielen MitstreiterInnen Mut, weiter zu machen. Doch kommt man auch an Grenzen des Machbaren, da die ersten Schritte sehr arbeitsintensiv sein können und Aktivitäten ohne Unterstützung, von anderen Erfordernissen im landwirtschaftlichen Alltag nicht so ohne weiteres abgezogen werden können. Ein chinesisches Sprichwort sagt, jede noch so weite Reise beginnt mit dem ersten Schritt. Ich denke dabei z.B. an Jean-Jaques Jacobi, der in unbändiger Kleinarbeit vor zwei Jahren bei der Landwirtschaftlichen Tagung in Dornach das biologisch-dynamisches Projekt Borjkhali in Georgien bekannt machte. Als „Patenhof» haben wir im Rahmen des Brehmer Demeter-Betriebes die anschließende rasante Entwicklung hautnah miterlebt. Mittlerweile hat sich diese „verrückte» Idee zu einer ernsthaften Initiative entwickelt, in der sich neben der Landwirtschaft auch Weinbau, Forstwirtschaft und Kulturarbeit angegliedert haben. Der Einsatz war freilich hoch, aber er hat sich gelohnt.
Bei waldwirtschaftlichen Maßnahmen sind Zeiträume in Betracht zu ziehen, die den Horizont des modernen Menschen im kurzlebigen Industriezeitalter meist ganz offensichtlich übersteigen. Davon bleiben auch Teile der biologisch-dynamischen Bewegung nicht verschont. Es ist nicht einfach, den Sinn und Zweck von Maßnahmen zu realisieren, die mit Sicherheit erst in einigen Generationen wirklich zum Tragen kommen. Wir sind der Meinung, dass dies letztlich auch auf die Landwirtschaft im engeren Sinn zutrifft: Bis ein Jahrzehnte geschundener Boden wieder in ein Gleichgewicht im biologisch-dynamischen Sinn geführt ist, können viele Jahre ins Land gehen. Eine Umstellungszeit von drei Jahren ist normalerweise bei weitem nicht ausreichend. Aber irgendwo muss ja auch eine Perspektive geboten werden. Gerade deshalb muss eine Bewusstseinsschärfung bei biologisch-dynamisch arbeitenden Menschen erfolgen und die kurzfristige Perspektive der Marktwirtschaft darf nicht zum Selbstläufer werden, sondern soll lediglich die Handlungsfähigkeit gewährleisten.
Es ist erstaunlich, wie schnell manche Maßnahmen doch greifen und erkennbare Entwicklungen stattfinden. Im Forstbereich denke man an die Bannwälder, die vor (erst) etwa 30 Jahren im Bayerischen Wald eingerichtet wurden und nicht unbedingt von biologisch-dynamischen Ansätzen bestimmt waren. Anfangs schrieen konventionelle Forstleute und ansässige Waldbauern Zeter und Mordio zusammen, beklagten sich über die Sauerei, die den gesamten Bayerischen Wald gefährde. Mittlerweile kommen die selben Leute nicht umhin, die dortige nachhaltige Regeneration und Naturverjüngung des Waldes staunend anzuerkennen – hier: durch einfaches „Nichtstun»!
Die zunächst als aussichtslos erscheinende Lage und der – kurzfristig betrachtet – hohe Arbeitseinsatz ohne unmittelbaren Nutzen darf nicht dazu führen, untätig zu bleiben. Damit die bisher ziemlich unkoordinierten Aktivitäten (siehe: Fruchtbäume) nicht binnen einer Generation durch Unwissenheit verpuffen und wieder praktisch am Nullpunkt begonnen werden muss, sollten beispielsweise Dokumentationen Sinn und Zweck für nachfolgende Generationen ersichtlich machen. Dazu ist es notwendig, dass die Maßnahmen in einen Gesamtzusammenhang gestellt werden und deren Durchführung auch irgendwie attraktiv gemacht werden. Nur so wird eine Sensibilisierung der Akteure (Landwirte, Forstleute usw.) möglich. Erfolgreiche Projekte sind die beste Werbung, um zu zeigen, dass es funktioniert. Auch wenn man zunächst belächelt wird, befördert man die Idee auf diese Weise am nachhaltigsten. Welcher Bio-Landwirt könnte davon nicht ein Lied singen.
Auf dem Demeterhof in Brehmen ist, wenn diverse Flächenangelegenheiten geklärt sind, eine biologisch-dynamische Christbaumschule geplant. Die Fläche soll gleichzeitig in fernerer Zukunft zum Fruchtwald werden, wobei die Nadelbäume hauptsächlich das Mikroklima fördern sollen und später die übrigen als entsprechende Zug- und Beschattungsbäume verbleiben. Zwischenzeitlich kann die Vermarktung der Christbäume einen Beitrag zur Wirtschaftlichkeit leisten.
Solche Versuche sollten von Demeter gefördert werden, um vielleicht Modellcharakter zu erreichen.
Ein erster Schritt der Verwirklichung dieser waldbaulichen Ziele könnte in der Tuchfühlung mit der Arbeitsgemeinschaft Naturnahe Waldwirtschaft (ANW) bestehen. Deren Ziele bauen verkürzt auf drei Säulen: dem Naturverjüngungsprinzip, d.h. Verwendung standortnahen Saatgutes und Pflanzmaterials, möglichst sogar eigenständige Naturverjüngung; dann dem Mischwaldprinzip, wonach ein artenreicher Bestand angestrebt wird und sich angesichts des Klimawandels auch Exoten bewähren können (damit sind allerdings keine Hybriden oder gar GVO gemeint!); und dem Prinzip der Vorratspflege, dass alte, mittelalte und junge Bäume im gleichen Bestand vorzufinden sind, die nach dem Plenterprinzip genutzt werden. So ist eine Stetigkeit des Waldwesens gewährleistet. Daraus könnte Demeter eine eigenständige biologisch-dynamische Waldpflege entwickeln.
Ziel muss sein, eine wirkliche umfassende Bauernkultur (wieder) zu entdecken und dem maroden agrarindustriellen Unsinn entgegen zu stellen. Freilich muss man Acht haben, dass daraus kein museales Idyll wird. Die alten Erfahrungen müssen in die aktuelle Situation gedacht und übertragen werden ( „Tradition heißt, die Flamme zu unterhalten, und nicht die Asche zu bewahren»). Nur so ist es möglich, das „Pfingstereignis von 1924 in Koberwitz» im damals angedachten Sinn weiter zu tragen.
Dirk Appel, im August 2007
6. Die wichtigsten Quellen:
– Rudolf Steiner, Geisteswissenschaftliche Grundlagen zum Gedeihen der Landwirtschaft
– Michael Machatschek, Laubgeschichten
– Hermann Graf Hatzfeldt (Hrsg.), Ökologische Waldwirtschaft
– Die Arbeit des Biologisch-Dynamischen Arbeitskreises Würzburg
– Persönliche Mitteilungen im Rahmen des experimental-archälogischen Projektes Forchtenberg/Jagst durch Herrn Prof. Dr. W. Schier (Lehrstuhl für Vor- und Frühgeschichte der Uni. Würzburg), sowie Herrn O. Ehrmann
– Arbeit und Erfahrungen auf dem Naturschutzhof „Krautfürnix» in Königheim/Brehmen
– Landwirtschaftliche Tagungen in Dornach/Schweiz